Über die Ausstellung
134 Fotografien in Schwarz-Weiß
Bei der Ausstellung handelt es sich um 134 -den Betrachter sofort in den Bann ziehende-schwarz-weiß-Fotos verschiedener Größe und Formate über Maradona und seine Zeit als Fußballer in Neapel. Maradona und seine Fußballkunst stehen im Fokus. Aber neben diesen meisterhaften Beispielen der Sportfotografie nehmen auch die Fans und ihre Emotionen Raum in der Ausstellung ein. Sie bilden das Spalier für die Sport-Fotos. Die Fotos, alle von Sergio Siano aus Neapel, werden von Exponaten, Zitaten von und über Maradona und Hörstationen ergänzt. Bewusst haben sich die Macher gegen eine Ausstellung entschieden, bei der die Fotos hauptsächlich an einer vertikalen Wand angebracht sind. An 6m hohen Seilen hängen in dieser Installation in geordneter Unordnung die Fotos im linken Seitenschiff der Kirche St. Heinrich von der Decke.
Sie werden, untereinander und nebeneinander frei schwebend, neu inszeniert, geben der Ausstellung etwas magisch-unruhiges. Manches wirkt wie am seidenen Faden. Immer ist Bewegung in der Ausstellung, fortwährend verändert sie sich, wie durch Geisterhand. Durch den Lichteinfall in die Kirche der von Ost nach West einmal um das Gebäude herum schreitenden Sonne sieht nicht nur jedes einzelne Foto, sondern die Ausstellung in ihrer Gänze zu jeder Tageszeit anders aus und wirkt auf den Betrachter immer wieder neu. Die Bilder befinden sich in einem Spannungsverhältnis zum Ausstellungsort. Sie erinnern an Heiligenbilder, gleichzeitig werden sie von religiösen und liturgischen Bildern herausgefordert und in Frage gestellt. Und sie stellen selbst in Frage. Nicht nur Fußballfans, auch Interessierte am Dialog von Kunst und Religion und Genießer:innen schöner Fotokunst und Italien-Liebhaber:innen haben ihre Freude in der Ausstellung.
Oder wie Maradona nach Hannover kommt
11. August 2021. Ein Glückstag. Ein gewisser 1. Vorsitzender eines gewissen Fußballmuseums in Springe macht Urlaub am Golf von Sorrent. Ein Tagesausflug ins archäologische Nationalmuseum nach Neapel steht an. Sein Reiseführer sagt, in Ergänzung eines Besuchs von Pompeji wäre ein Besuch im Museum ein absolutes MUSS. Auf den Weg ins Nationalmuseum entdeckt er ein Plakat mit dem Konterfei des ehemaligen argentinischen Weltklasse- und Napoli-Spielers Diego Armando Maradona in der U-Bahn: Was soll das? Schnell wird das Plakat per App übersetzt. Ah! Eine Fotoausstellung über Maradona zu seiner Zeit in Neapel. Ingresso gratuito. Der gewisse 1. Vorsitzende des gewissen Fußballmuseums in Springe ist kurz (!)hin- und hergerissen. Dann steht sein Entschluss fest: Egal ob MUSS oder nicht – kurzerhand wird das Nationalmuseum gestrichen und die Foto – Ausstellung über Maradona besucht. Die Beste aller weiblichen Begleitungen ist b e g e i s t e r t von dieser Spontanität, die Männern ja oft abgesprochen wird. Eine völlig überflüssige, da letztlich sinnlose Diskussion über den Mehrwert des Besuchs einer „dämlichen Fußballausstellung“ wird in den romantischen Gassen Neapels bei 30-Grad Celsius geführt.
Eine Ausstellung über Maradona? In Neapel? Er kann nicht anders, er MUSS dorthin. Hastig werden irgendwelche Versprechungen gemacht: Auf dem Rückweg nach Deutschland in die Oper in der Arena in Verona…kein Problem…Rigoletto wollte er schon immer sehen. Ein Glücksfall! Ja, das Nationalmuseum hätte ihm sicher den Atem geraubt mit seinen unermesslichen antiken Kunstschätzen, aber: Die Maradona-Ausstellung dort, in einem Einkaufszentrum etwas außerhalb von Neapel, toppt alles. Kuratiert von Yvonne de Rosa mit Fotos von Sergio Siano macht die Ausstellung einfach nur Spaß. Vom ersten bis zum letzten Bild. Schließlich verbringt er über eine Stunde dort und erkundigt mich im Anschluss bei der sehr hilfsbereiten Aufsicht über Möglichkeiten mit der Kuratorin in Kontakt zu treten. Schnell sind E-Mail-Adresse und Telefonnummer aufgeschrieben und er macht sich auf den Weg zurück. Schon in der Bahn ist ihm klar: Diese Ausstellung muss nach Springe – oder zumindest nach Hannover geholt werden.
…wieder zu Hause tritt der nächste Glücksfall ein. Unser Protagonist, Dirk Schröder, trifft sich noch im September 2021 in einer ganz anderen Sache mit dem Kulturbeauftragten der kath. Kirche der Region Hannover, Thomas Harling. Gemeinsam mit Marcus Olm von der Per Mertesacker Stiftung will man Möglichkeiten ausloten, zusammen Aktionen zur bzw. gegen die WM in Katar 2022 auf die Beine zu stellen. Schnell sind einige erste Ideen geboren, eigentlich ist man schon im Begriff sich zu verabschieden, da berichtet Dirk Schröder von der Maradona-Ausstellung in Neapel. Olm wirft ein, dass Maradona – als Trainer – ja einmal bei der WM 2010 sogar gegen Per gespielt habe. Ein glücklicher Zufall. Keine Frage, man sei also dabei. Thomas Harling, Fußballverrückter und Experte für den Fußball an der Basis (Dauerläufer und Ballverteiler in der Kreisliga) ist ebenfalls sofort Feuer und Flamme. Maradona- die Hand Gottes– der Göttliche- der wie ein Heiliger Verehrte: Die Ausstellung sollte in einer Kirche stattfinden, so seine Idee. Dann könnte man sich dem Phänomen Maradona auch auf eine angemessene Weise kritisch nähern.
Ein Glück – er kennt ALLE Kirchen in der Region. Die Wahl fällt, nach einigen Zwischenschritten, auf St. Heinrich in der Südstadt. Schön und gut, aber leider wissen weder Frau Yvonne de Rosa noch Sergio Siano aus Neapel von dieser Idee. Egal–Schröder und Harling sind so enthusiastisch–das muss klappen. Nach einem ersten(und einzigen) auf Italienisch verfassten Brief, etlichen Telefonaten und dutzenden von Emails (auf englisch) sowie dem Einsatz von zig Helfern und Helferinnen (Mails übersetzen, live dolmetschen, Konzepte erstellen), ist es irgendwann Realität. Frau de Rosa und Fotograf Siano stimmen zu. Noch nie zuvor wurden sie von irgendwelchen Deutschen so vollgelabert. Sie können am Ende gar nicht anders… Wir bekommen die Ausstellung nach Hannover! Hip-Hip-HURRA!Glück gehabt, D10S sei Dank!
P.S. Rigoletto ist aus gefallen – Gewitter.
Diego Armando Maradona
In Neapel wurde Maradona verehrt wie ein Gott. Lieder wurden auf ihn gedichtet, Statuen errichtet, religiös anmutende Schreine. Die Toten in ihren Gräbern wurden bedauert, weil sie ihn nicht hatten spielen sehen. Die Bevölkerung des armen Südens erwartete ihn wie einen Messias, der das Heil für alle bringt und sie aus ihrer Zweitrangigkeit und Abgeschlagenheit befreit. Und tatsächlich: Seine Art, Fußball zu spielen brachte Schönheit in ihren tristen Alltag, vereinte die Zerstrittenen und Abgehängten zu einer großen Gemeinschaft und gab dem Leben Sinn und Hoffnung.
Mit ihm gewann Neapel: die Stadt, die Region, der ganze Süden mehrere Meisterschaften, Respekt und Anerkennung. Der Messias hatte geliefert. Im Spiel mit seiner Rückennummer zehn wurde er D10S, DIOS, der Göttliche, Gott selbst. Auch aus der historischen und geographischen Ferne erscheint das alles wie ein Wunder. Deshalb überrascht es nicht, dass aus Neapel eine Fotoausstellung kommt, deren Bilder – zumindest auf den ersten Blick – wie eine Liebeserklärung wirken, fast schon wie eine religiöse Verklärung.
Maradona im sanften Gegenlicht, fast entrückt; Maradona der kämpfende und leidende Gerechte mit Schweiß – (und sind es vielleicht schon Bluts)Tropfen , Maradona, der versonnen in die Ferne blickt als ob er eine Eingebung hätte; Maradona, den ein Lichtstrahl von oben trifft wie eine Erleuchtung. Die Bilder erscheinen wie ikonographische Annährungen. Ein göttliches Idyll. Gleichzeitig aber wissen wir, dass sein Lebensweg alles andere als himmlisch verlaufen ist. Gewalt,
Drogenexzesse, Alkoholabhängigkeit, Verstrickungen mit der Mafia, sexualisierte Gewalt gegen minderjährige Frauen. Es bedarf nicht vieler psychologischer Erfahrung um zu erkennen, dass das gravierende Scheitern nach seinen Heldenjahren in Neapel und in Argentinien eben gerade mit seinem vermeintlichen Götterstatus zu tun hat. Die maßlose Wut, die unangemessene Gerührtheit und Weinerlichkeit, die abgrundtiefe Verzweiflung, die Selbstüberschätzung erscheinen wie eine körperliche und seelische Reaktion auf das süße Gift der Vergöttlichung, dem er oft sehr wenig entgegensetzen konnte.
Mit diesem Wissen entpuppen sich manche Bilder auch als zwiespältiger. Maradona, wie er in der Mitte des Platzes einsam wirkt, allein und verloren. Wie er jubelnd nach einem Tor triumphiert, sich seine Mitspieler aber schon abwenden. Wie die Fans begeistert durch die Stadt stürmen, über allem aber eine Ahnung von Gewalt schwebt. Die Ausstellung in der St. Heinrich – Kirche versucht den Spieler und Menschen Maradona und die Bilder nicht zu diskreditieren. Es finden sich keine Gegenbilder des Gealterten, gebrochenen Mannes, mit Knieproblemen und verständnislosem Blick. Der „Göttliche“ und seine „Hand Gottes“ werden in diesem religiösen Kontext vielmehr neu inszeniert, befragt und in Frage gestellt. Der Sehnsucht der Menschen nach dem Außergewöhnlichen, dem Bewunderung -Stiftenden, dem Begeisternden wird nachgegangen und das Gemeinschaftsbildende aber auch das Zerstörerische wird erkundet.Sind Fußballer Vorbilder, Idole, Heilige? Wofür eignen sie sich – gerade auch die Ikonen des Sports wie Maradona – und wann werden Verehrung und Selbstinszenierung zerstörerisch?
Diesen Fragen geht verschiedene Veranstaltungen nach, wie der Gottesdienst „Der Göttliche und Gott“ und das Podiumsgespräch „Maradona, der Göttliche. Idol, Messias, gefallener Held?“ Die schönen Bilder werden den Besucher:innen der Ausstellung (und der Kirche) zugemutet, sie können sich ihrer Kraft und Inspiration überlassen, aber sie müssen sich auch selbst gegen die Verführungen wehren. In der Konfrontation mit den Kreuzwegstationen werden die Bilder auf ihre Wahrhaftigkeit und Tiefe abgeklopft. Eignen sie sich wirklich als Ikonen? Die Kirche als ein Ort der Gemeinschaft, der Hoffnung, des Sinns interpretiert sich im Gegenüber zu den Fotos neu. Später, als Trainer in der zweiten mexikanischen Liga, wird er sagen: „Ich bin ein guter Mensch und will den Fußball verbessern zum Wohle der Menschen. Aber ich bin nicht perfekt. Niemand ist das. Manchmal werde ich mit Dingen konfrontiert, die ich nicht verstehe. Aber im Fußball macht mir nichts Angst“.
Über den Fotografen
Als junger Mann erfüllt sich Sergio Siano (Jg. 1969) in den 80ern einen Traum – er wird Fotoreporter für die Tageszeitung Il Mattino, der wichtigsten Tageszeitung Neapels. Über die nächsten Jahre begleitet er Napoli und Diego Maradona auf ihren Weg zu zwei Meistertiteln. Seine Bilder zeigen den argentinischen Weltfußballer als das, was er wirklich war: Ein großer Sportler, ein listiger Clown, die Ikone einer ganzen Stadt, ein von den Neapolitanern gottgleich verehrter Superheld. Zahlreiche Veröffentlichungen und Preise sind seitdem Ausdruck seines journalistischen Schaffens. Die ursprünglich von Yvonne de Rosa in Neapel kuratierte Ausstellung seiner Bilder portraitiert Maradona auf eine einzigartige Art und Weise, die jeden Betrachter auch heute noch in ihren Bann zieht.
Sergio Siano: „Der König und ich“
Seit ich denken kann, empfinde ich eine tiefe Liebe für den Verein meiner Stadt. Dazu trägt auch meine Familienprägung bei, mein Vater war nämlich nicht nur Fotoreporter beim Mattino, sondern auch der Fotograf der SSC Napoli. Manchmal nahm er meinen großen Bruder Riccardo und mich mit, wenn er Spieler fotografieren sollte. Ich erinnere mich, dass wir oft bei Giuseppe Savoldi zu Gast waren. Während mein Vater mit dem Stürmer über Musik plauderte, spielte ich mit seinem Sohn Fußball. Natürlich war ich auch am 5. Juli 1984 dabei, um den neuen und letzten König Neapels zu begrüßen: Diego Armando Maradona. Unter den 70.000 Fans im Stadion beobachtete ich, wie er die Treppen hinaufstieg. Als er den Rasen betrat, betäubte das Getöse mein Trommelfell, mein Herz schlug wild wie die Trommeln in der Curva A. Die Fans strahlten eine so große Wärme aus, dass ich mir mein schweiß tropfendes T-Shirt ausziehen musste. Wir sahen Diegos Augen nur aus der Distanz, sein Versprechen konnten wir daraus dennoch ablesen: Er würde die Liebe erwidern. Am 20. Mai 1985 hing mir mein Vater die Nikon FM um den Hals und sagte: „Folge deinem Bruder, lerne so zu fotografieren wie er.“ Nicht einmal ein Jahr nach seiner Ankunft fand ich mich eine Handbreite vom Gott des Fußballs entfernt.
Nun durfte ich meine Emotionen auf Film festhalten, ich fotografierte die tausend Gesichtsausdrücke Diegos und seine Tänzchen mit dem Ball. Am 28. August 1985 betrat ich erstmals den Rasen des San Paolo. Meine Beine zitterten, als ich die Treppen hochging, die Diego ein Jahr zuvor erstmals hinaufgestiegen war. Ich sollte Fotos von der Cuppartie gegen Salernitana machen: Napoli gewann 3:1, Maradona erzielte zwei Tore. Ich ging oft zum Training, für die Zeitung, aber auch für mich. Die ersten Male versteckte ich mich mit meinem Objektiv in einer Ecke, langsam tastete ich mich immer näher heran, bis ich plötzlich inmitten der Spieler stand. Mit Ende des Trainings endete auch meine Arbeit. Aber wenn Diego blieb, blieb auch ich. Er war beim Training der Inbegriff der Schönheit. Vielleicht waren das die einzigen Momente, in denen er sich richtig frei fühlte. Manchmal streifte er sogar die Handschuhe von Claudio Garella über, um zwischen den Stangen zu fliegen. Wenn er den Ball mit den Fuß jonglierte, schien die Zeit stehenzubleiben, alle beobachteten still das Schauspiel seines intimen, magischen Verhältnisses zum Ball. Nicht einmal der Regen konnte ihn stoppen, dann tobte er auf dem Trainingsplatz im Matsch – genauso wie die Kinder in den Quartieri Spagnoli, dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin.
Übersetzung: Jakob Rosenberg
www.ballesterer.at